Berlin (Reuters) - Der Terminkalender der Kanzlerin zeigt derzeit eine auffallende Schlagseite: Anfang kommender Woche trifft Merkel in Island beim Treffen des Nordischen Rats mehrere Kollegen aus kleinen nordeuropäischen EU-Staaten.
Zudem ist sie Montag in Ungarn und empfängt am Mittwoch die slowakische Präsidentin. Vergangenen Mittwoch hatte sie den litauischen Präsidenten zu Gast, zuvor die dänische Ministerpräsidentin. Auch wenn einige Termine mit dem Antritt neuer Regierungschefs zusammenhängen: Zufall ist die derzeitige Kette an Kontakten vor allem zu kleinen EU-Partner nicht. In der anstehenden nächsten Runde von EU-Reformen wird eine deutsch-französische Abstimmung nicht ausreichen. “Denn als Gegenreaktion bilden die kleinen Staaten mittlerweile verstärkt Regionalbündnisse innerhalb der EU”, sagt der Europaexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Julian Rappold.
Deutlich wurde dies in den vergangenen Jahren in zwei zentralen EU-Debatten: Beim Migrationsthema schlossen sich die vier osteuropäischen Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei zu einem Abwehrbündnis gegen die beschlossene Flüchtlingsverteilung in der EU zusammen. Und in der Debatte um die Weiterentwicklung der Euro-Zone hat sich mittlerweile ein “Hanse”-Bündnis aus nord- und nordosteuropäischen Staaten gebildet. Während die Medien meist auf die Abstimmung zwischen Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron blicken, gibt es für Rappold längst eine andere Dynamik in der EU. “Je kompromissbereiter Deutschland Richtung Frankreich ist, desto härter werden die bremsenden Positionen etwa der Hanse-Gruppe”, sagte er mit Blick auf die Niederlande oder Finnland. Dies bekam Macron etwa beim Scheitern hochfliegender Pläne für ein großes Eurozonen-Budget zu spüren.
Nun stehen aber weitere wichtige Entscheidungen in der EU an. Zum einen ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, die EU-27 nach dem erwarteten Brexit-Austritt zusammenzuhalten. Dabei spielen die kleinen Länder eine große Rolle. Dies erklärt etwa, wieso sich Merkel, Außenminister Heiko Maas, aber auch die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen intensiv um die schwierigen Partner Polen und Ungarn kümmern. Es sei absehbar, dass es immer mehr differenzierte Integration in der EU gebe, sagt ein EU-Diplomat. Das bedeutet, dass nur ein Teil der Länder bestimmte gemeinsame Schritte in bestimmten Politikerfelder gehen will - wie dies bei den 19 der derzeit noch 28 EU-Länder im Euroraum auch der Fall ist. Also muss um jeden Einzelnen geworben werden - etwa beim Euro oder bei der Reform der Flüchtlingsverteilung.
NIEMAND IST VERNACHLÄSSIGBAR
Die DGAP-Europaexpertin Jana Puglierin hält den Vorwurf denn auch für falsch, die Bundesregierung kümmere sich zu wenig um die kleinen Partner. “Es gibt in Europa keine vernachlässigbaren Mitgliedstaaten. Im europäischen Rat müssen alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden”, betont Regierungssprecher Steffen Seibert. Man könne sich nicht leisten, nicht die Erfahrungen und Meinungen aller EU-27-Mitglieder abzufragen und einzubeziehen.
Zumal sich deren Blick auf die EU verschoben hat. Früher hatten sie vor allem Kommission und EU-Parlament als Sachwalter ihrer Interessen auch gegen die großen Partner angesehen. “Aber das Krisenmanagement hat sich in der EU immer mehr in den EU-Rat verschoben”, sagt DGAP-Expertin Puglierin. Deshalb suchen die Staaten heute mehr bilaterale Abstimmung - gerade auch mit Deutschland.
Für die Bundesregierung kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Wer in der EU viel erreichen will, braucht eine breites Bündnis von Staaten. Und in Berlin wird derzeit bereits intensiv auf die halbjährige deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli 2020 geschaut. “Dazu ist eine positive Grundstimmung in der EU wichtig, um dann eigene Anliegen durchsetzen zu können”, meint ein EU-Diplomat. Eine Abstimmung vor allem mit Macron hilft da wenig. Deutschland bereitet seine Ratspräsidentschaft übrigens im Trio vor - mit Portugal und Slowenien, die danach die Ratspräsidentschaften übernehmen.
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